Erneuerbare Energien

Während Ratekau sich auf dem Weg zur „100%- Erneuerbare-Energien-Kommune" befindet, verläuft dieser Ausbau erneuerbarer Energien nicht ohne Schwierigkeiten im Hinblick auf den Erhalt der biologischen Vielfalt.

Probleme bereiten hier die Biomassenutzung, Freiland-Photovoltaik und Windkraftanlagen, die Nutzung der Wasserkraft und in der Folge der Ausbau von Hochspannungsleitungen. Insbesondere die Gewinnung von Biogas aus Mais ist problematisch. Um diese und andere Konflikte bei Energieerzeugung, Umwandlung und Verteilung zu mindern und generell die Naturverträglichkeit von Maßnahmen zu sichern, wurden in der Gemeinde wichtige strukturelle Voraussetzungen geschaffen:

  • Sämtliche Flächenverkäufe im Gemeindegebiet werden in der Umweltabteilung auf Verwertbarkeit, Vorkaufsrecht und Bedeutung für den Natur- und Klimaschutz geprüft. Das gilt auch für private Kaufverträge.

  • Alle eingehenden Bauanträge werden durch die Umweltabteilung ebenfalls hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Naturschutz, insbesondere auf bedrohte Arten, Großgrün und Gewässerschutz, geprüft.

  • Die gesamte Bauleitplanung wird von der Umweltabteilung begleitet, d.h. Natur- und Klimaschutzziele werden berücksichtigt und entsprechende Festsetzungen im B-Plan aufgenommen, wie der Erhalt von Natur-und Landschaftselementen, Neuanpflanzungen, Einsatz von Regiosaat- und Pflanzgut, Lage und Gestaltung von Ausgleichsflächen u.v.m.

  • Alle kommunalen umweltrelevanten Baumaßnahmen werden durch die Umweltabteilung begleitet (Genaueres regelt eine Dienstanweisung von 1994 des Bürgermeisters).

  • Die lokalen Umweltvereine werden zu Sitzungen des Ausschusses für Umwelt, Natur, Energie und Bauen eingeladen.

Damit wurde eine Art „innere UVP" (Umweltverträglichkeitsprüfung) initiiert, und Belange des Klimaschutzes und der Biodiversität können frühzeitig berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist so die Kenntnis von aktuellen Flächennutzungen und Nutzungsänderungen sowie allen relevanten Akteuren besonders ausgeprägt. Mit diesem Know-how lassen sich private Akteure gezielt ansprechen und für die Umsetzung von Naturschutzzielen gewinnen. So konnte beispielsweise durch Kontaktaufnahme zu einem Erwerber einer landwirtschaftlichen Fläche die Anlage einer Obstwiese mit 140 Obstbäumen unterstützt werden. Auch wurde der Verkauf von 21 Hektar Kiesseen mit Uferflächen an den Umweltschutzverein Sereetz und den NABU mit finanzieller Unterstützung durch die Umweltlotterie, den Kreis und die Gemeinde organisiert. Trotz dieser strukturellen Voraussetzungen gehen Klima- und Biodiversitätsschutz dennoch nicht immer Hand in Hand. Die häufigsten Konflikte entstehen aufgrund des Ausbaus erneuerbarer Energien. Damit bei der Umsetzung der gesetzten Klimaschutzziele die biologische Vielfalt nicht auf der Strecke bleibt, gibt es in Ratekau kommunal abgestimmte Zielsetzungen in Zusammenhang mit dem Ausbau erneuerbarer Energien und der Effizienzsteigerung. Daher sollen unter anderem der weitere Ausbau von Nahwärme und Kraft-Wärme-Kopplung vorangetrieben sowie öffentliche Gebäude und Straßenbeleuchtung weiter energetisch optimiert werden. Dies betrifft bei der Straßenbeleuchtung insektenfreundliche Lichtquellen, restriktive Schaltzeiten, Abstrahlkegel, Lampenhöhe etc.

Biogas

Der Maisanbau mit der späten Saat, dem jahrelangen Nachbau, verbunden mit Herbizideinsatz und geringer Bodenbedeckung verursacht Bodenerosion in großem Umfang. Verschärft wird die Situation durch Überwinterung der Stoppeln ohne Winterbegrünung oder Untersaat. Zum Anbausystem gehören weiter Einträge von Pestiziden und Düngern in Böden, benachbarte Biotope, Gewässer und Grundwasser. Aus diesem Grund soll lediglich eine Biogasanlage mit Mais-Substrat in der Gemeinde existieren. Die bereits bestehende Biogasanlage mit drei an verschiedenen Standorten befindlichen sowie mit einer privaten Gasleitung verbundenen Blockheizkraftwerken erzeugt 6,5 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr. Das entspricht etwa 18 Prozent des derzeitigen Stromverbrauchs der Gemeinde, wobei die entstehende Wärme für Wohnen und Gewerbe genutzt wird. Durch Winterbegrünung und Fruchtwechsel sowie Blühstreifen versucht der Betrieb, die negativen Auswirkungen des Maisanbaus zu reduzieren. Außerdem bewirkt ein neuer Konverter eine Effizienzsteigerung, und die Maisanbaufläche kann reduziert werden.
 

Windenergie

Das Klimaschutzkonzept Ratekaus macht deutlich, dass mit der Stromerzeugung aus Wind in Ratekau zwischen 130 und 265 Prozent des gesamten Strombedarfs gedeckt werden können. Dieses Potenzial soll weiter genutzt und naturverträglich ausgebaut werden. Besondere Beachtung müssen hierbei die bevorzugten Flugwege und -höhen der geschützten Großvogel- und Fledermausarten wie Seeadler (Haliaeetus albicilla), Uhu (Bubo bubo), Rotmilan (Milvus milvus), Weißstorch (Ciconia ciconia), Kranich (Grus grus) und Teichfledermaus (Myotis dasycneme, eines von fünf Vorkommen landesweit) finden. Von der Gemeinde wurden für die Fortschreibung des Regionalplanes weitere Vorrangflächen für Windkraft beantragt, vom Land allerdings abgewiesen. Durch Repowering-Maßnahmen auf dem vorhandenen Standort sind jedoch Ertragssteigerungen möglich: 14 Altanlagen mit insgesamt 9,5 Megawatt werden durch neun Windkraftanlagen mit etwa 25 Megawatt ersetzt. So werden durch die Reduktion der Anlagenzahl CO2-Einsparungen mit der Förderung der biologischen Vielfalt zusammengebracht. Die Gemeinde wird auch bei künftigen Bebauungsplänen für Windkraft verstärkt Maßnahmen wie Blühstreifen an Erschließungswegen, Lerchenfenster in Ackerflächen, Bachentrohrungen, Kleingewässeranlagen, Vernässung von Feuchtgebieten und vieles andere einfordern, was die Rauigkeit der Landschaft wenig erhöht, damit die Winderträge wenig beeinflusst und gleichzeitig der biologischen Vielfalt zugutekommt.

Legende Holz

Wie im gesamten waldarmen Bundesland Schleswig-Holstein können auch in Ratekau nur maximal fünf Prozent des Gesamtenergieverbrauchs aus der Holznutzung stammen. Dieses Holz ist Restholz der Waldbewirtschaftung und Knickholz. Eine Holzhackschnitzel-Nutzung soll auch weiterhin nur auf vorhandenen Umtriebsflächen stattfinden. Der Wald und insbesondere die wenigen Primärwälder der Gemeinde Ratekau haben für die biologische Vielfalt eine so große Bedeutung, dass in Ratekau deshalb die Wälder wenig genutzt und der Holzvorrat über die nächsten Jahrzehnte erhöht werden sollen, um die Artenvielfalt zu fördern und eine CO2-Senken-Wirkung zu erzielen. Darum sollen neben den vorhandenen 150 Hektar Naturwaldflächen weitere Waldschutzgebiete in Ratekau ausgewiesen werden. Leider bestehen diesbezüglich Differenzen zwischen der Gemeinde und dem neuen Landesbetrieb Schleswig-Holsteinische Landesforsten, die bislang nicht ausgeräumt werden konnten. Insbesondere die Ausweitung der Selbstwerbereinschläge im Landeswald führte in den kommunalen Wäldern zu Konflikten mit Naturschutzzielen bis hin zur Vertreibung des Seeadlers (Haliaeetus albicilla), der in ein angrenzendes Waldstück, das Naturschutzgebiet Aalbekniederung am Hemmelsdorfer See, umsiedelte. Die Fällung von Alt- und Totholz durch Selbstwerber haben die Gemeinde Ratekau sowie drei Nachbarkommunen zum Anlass genommen, das von der EU geförderte „Habitatbaumprojekt" zu starten, das landesweite Bedeutung haben soll. Die Kartierung und Kennzeichnung aller Habitatbäume in öffentlichen und privaten Wäldern sowie im Offenland, die Lebensraum für geschützte Pflanzen- und Tierarten sind, soll deren Schutz gewährleisten und besondere Merkmale wie Höhlen, Spalten oder Pilze erfassen.

Finanzierung und Kooperationen

Ohne wirtschaftliches Denken, Arbeitseffizienz und Ressourcenbewusstsein fehlt schnell die materielle Basis für Klima- und Artenschutz. Auch das umfangreiche Einwerben von Fördermitteln funktioniert nur dann, wenn die meist notwendigen Eigenanteile bereitgestellt werden können. Ratekau besitzt den niedrigsten Personalschlüssel im Kreis und eine Pro-Kopf-Verschuldung von 200 Euro, verfügt jedoch immer über freie Finanzmittel, um auch kurzfristig anstehende Projekte umsetzten zu können. Für Natur- und Artenschutz steht in der Gemeinde nur ein kleines Budget zur Verfügung, so dass Erfolge meist nur mit Hilfe vielfältiger Kooperationen zu erreichen sind. Aber die Gemeinde Ratekau ist in der glücklichen Situation, vom Engagement lokaler Naturschutzvereine, aber auch sehr aktiver Einzelpersonen zu profitieren.

Wichtige Kooperationspartner der Gemeinde Ratekau:

Untere Naturschutzbehörde (UNB), Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR), Wasser- und Bodenverband (WBV):

Sehr enge Zusammenarbeit durch lokale Aktionen oder Projekte (zum Beispiel FFH-Management-Pläne, AktivRegion)

Umweltschutzverein Sereetz, NABU, BUND und Umweltinitiative Ratekau:

Enge, fast tägliche Kontakte, Informationsaustausch und Projektentwicklung (die in der Bevölkerung verankerten Umweltinitiativen und Vereine und deren Mitglieder haben ein großes Wissen über vorkommende Arten und Abläufe in der Natur, gepaart mit großer Ortskenntnis und anderem Spezialwissen, auf das eine Verwaltung nicht verzichten kann, wenn sie ambitionierte Naturschutzziele erreichen will)

Landwirte, Jäger, Fischer, Förster:

Enge Kontakte (zum Beispiel Vortragsabende zu Themen im Spannungsfeld Naturschutz, Jagd und Landwirtschaft)

Für nahezu alle Projekte müssen Fördermittel beantragt werden, deren Bewilligung allerdings voraussetzt, dass die Gemeinde einen eigenen Anteil aufbringt. Hier ist zum Beispiel das große Engagement des Umweltschutzvereins Sereetz hervorzuheben, der mit starker Förderung durch die Bingo!-Umweltlotterie große Naturschutzprojekte umzusetzen hilft und die Gemeinde zu immer neuen Projekten antreibt.

Fazit

Auch wenn Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt bisweilen entgegenstehen: Langfristig will und kann die Gemeinde Ratekau das Ziel der CO2-Neutralität erreichen. Mittelfristig, bis 2030, strebt sie im Rahmen des Klimaschutzkonzepts CO2-Emissionen von weniger als zwei Tonnen pro Kopf und Jahr an. Durch Ausbau der Windkraftreserve und durch Biomassenutzung sowie durch effizienteren Energieverbrauch in den Haushalten soll der CO2-Ausstoß langfristig sogar gegen Null gehen. Die Gemeinde Ratekau ist stolz darauf, dass man schon seit über 20 Jahren Natur- und Klimaschutz ernst nimmt. Dieses langjährige Engagement führte im Rahmen von bundesweiten Wettbewerben unter anderem zu den Titeln „Klimaschutzkommune 2009" und „Biodiversitätskommune 2011".

Beitrag von JÜRGEN LEICHER
Leiter der Umweltabteilung der Gemeinde Ratekau

Seit 1978 ehrenamtlich im Naturschutz aktiv (Landschaftspflegeverein Dummersdorfer Ufer und BUND). Zwölf Jahre nebenberuflich in der Land-wirtschaft tätig. 1985 bis 1987 hauptamtlicher Geschäftsführer beim BUND Flensburg. Seit 1987 Aufbau und Leitung der Umweltabteilung der Gemeinde Ratekau (Schleswig-Holstein). Studium der Agrarwissenschaften und des Schwedischen in Kiel, Dipl.-Ing. agr. 

Quelle:
Leicher, Jürgen: Naturschutz und Klimaschutz auf Rezept in der Gemeinde Ratekau. In: Klimaschutz & Biodiversität, Praxisbeispiele für Kommunen zum Schutz von Klima und Biodiversität, 2003, S. 70-79.

Den ersten Teil des Artikels finden Sie unter dem Navigationspunkt Umweltschutz.